Wer zahlt den Preis für industrielles Fleisch?

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Nicht wenige sagen, Corona habe auch etwas Gutes. Angesichts fast 500.000 Toter und über 10 Mio. Infizierter weltweit irritiert dieser Gedanke. Langfristige Folgeschäden der mittlerweile Genesenen sind noch nicht absehbar. Ebenso die zukünftige wirtschaftliche Situation.

Fakt ist: Corona macht nicht nur Menschen krank, sondern zeigt uns auch überdeutlich kranke Strukturen im kranken System der Lebensmittelindustrie.
Im vergangenen Jahr bekamen wir in unserer Region exemplarisch vorgeführt, wie grausam mancherorts mit Nutztieren umgegangen wird. Wieder einmal wurde diskutiert, ob es eine Obergrenze bei der Tierhaltung geben müsse. Gehandelt wurde nicht.

Wir Grünen fordern schon seit Jahren ein Verbot der Massentierhaltung und die Förderung artgerechten, ethischen Umgangs mit Nutztieren. Wenn Tiere massenhaft gehalten werden, ist die logische Folgerung, dass massenhaft Tiere geschlachtet werden. Und unter welchen Bedingungen dies geschieht, tritt nun wieder einmal zu Tage.

Der explosive Anstieg von Coronainfektionen in Schlachthöfen macht uns auf deren menschen-und tierverachtenden Missstände aufmerksam. Der Fleischkonzern Tönnies wird zum Corona-Infektionszentrum des Landes. 20 Mio. Schweine und 440.000 Rinder werden dort jährlich geschlachtet. Im Jahr 2019 setzte der Konzern damit 6,5 Milliarden Euro um.

16.500 Menschen arbeiten für Tönnies, wie viele davon direkt angestellt sind, bleibt im Dunkeln. Es könnten weniger als die Hälfte sein, wird vermutet. Die anderen sind sogenannte Werkvertragsnehmer und damit bei Subunternehmen angestellt. Sie arbeiten als wären sie direkt beim Schlachthof angestellt, ihre Arbeit wird allerdings pauschal vergütet, egal wie viele Stunden sie tatsächlich beschäftigt sind. Zudem haften sie persönlich für dabei entstehende Mängel. Bei Tönnies sind das bis zu 290 Stunden im Monat für ca. 1.500 Euro. 400 Euro werden davon für Wohnung und Beförderung zum und vom Arbeitsplatz abgezogen.

30.000 Tiere werden bei Tönnies täglich geschlachtet und zerlegt. Dafür muss das Zerlegeband doppelt so schnell laufen wie erlaubt und es kommt schon mal vor, dass Schweine lebendig gebrüht werden. Profitgier und Menschenverachtung haben die Schlachthöfe zu Orten der Ausbeutung von Mensch und Tier gemacht.

Das Billigfleischgewinnmaximierungssystem wird auf dem Rücken der Tiere ausgetragen, die von der Haltung im Massentierbetrieb über den Massentiertransport über Hunderte von Kilometern bis hin zur Massenschlachtung mehr Medikamente als artgerechtes Futter erhalten und nicht mehr als Kreatur sondern Massenware betrachtet werden.

Und es wird auf dem Rücken der Menschen ausgetragen, die unter unwürdigen, gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten und wohnen. Meist Männer aus Osteuropa, die wenig deutsch sprechen, sich nicht wehren können und nehmen müssen, was die ausbeuterische Fleischindustrie ihnen zu geben bereit ist. Sie wohnen auf engstem, überteuertem Raum unter unzumutbaren menschlichen und hygienischen Bedingungen in einer Art Massenmenschenhaltung.

Und nun werden die osteuropäischen Werkvertragsnehmer als alleinverantwortlich für den Coronaausbruch bei Tönnies ausgemacht. Die Politik in NRW zieht schnell eine Trennlinie zwischen nicht infizierter „Bevölkerung“ und infizierten Werksarbeitern. Damit werden die angeworbenen Tönnies-Arbeiter zu Tätern gemacht, obwohl sie doch eigentlich zu den Opfern in diesem System gehören.

Und auch andere Bereiche der Lebensmittelindustrie sind von ähnlich unzumutbaren Arbeitsbedingungen betroffen. Erntehelfer*innen im Obst und Gemüseanbau, in Deutschland und im europäischen und außereuropäischen Ausland, sind im Akkord im Einsatz und ähnlich schlecht bezahlt und untergebracht wie die Arbeiter*innen der Schlachtfabriken. Arbeitsbedingungen, die wir in unserem Land längst überwunden glaubten werden offenkundig.

Hat die Corona-Pandemie etwas Gutes? Sie hat uns zumindest nochmals deutlich vor Augen geführt, dass wir in unserem politischen Engagement nicht nachlassen dürfen, diese Zustände anzuprangern und die politisch Verantwortlichen zur sofortigen Beendigung dieser Missstände zu zwingen.

Ursula Kaltner-Bayer

Sprecherin Kreisverband Memmingen